Wirtschaftsnobelpreis 1980: Lawrence Robert Klein

Wirtschaftsnobelpreis 1980: Lawrence Robert Klein
Wirtschaftsnobelpreis 1980: Lawrence Robert Klein
 
Der Amerikaner erhielt den Nobelpreis für die Konstruktion ökonomischer Konjunkturmodelle und deren Verwendung bei Analysen der Wirtschaftspolitik.
 
 
Lawrence Robert Klein, * Omaha (Nebraska) 14. 9. 1920; 1944-47 Mitwirkung in der Cowles-Kommission für wirtschaftswissenschaftliche Forschung an der University of Chicago, 1949-54 Tätigkeit an der University of Michigan, 1954-58 Forschungstätigkeit an der University of Oxford, seit 1958 Professor an der University of Philadelphia; gilt als ein Hauptvertreter des Keynesianismus.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Kleins Arbeiten sind im Grenzgebiet zweier Teilgebiete der Volkswirtschaftslehre angesiedelt — sie hatten großen Einfluss sowohl auf die Makroökonomik, die sich der Analyse der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung widmet, als auch auf die Ökonometrie, die Lehre von der Anwendung statistischer Verfahren in der Quantifizierung und Prognose ökonomischer Zusammenhänge.
 
 Hauptvertreter des Keynesianismus
 
Kleins gesamtwirtschaftliche Modelle kennzeichnen zumindest in Bezug auf die praktische, wirtschaftspolitische Umsetzung wohl den Zenit der traditionellen keynesianischen Makroökonomik (nach den Theorien des Wirtschaftswissenschaftlers John Maynard Keynes), die über weite Strecken des 20. Jahrhunderts das herrschende Leitbild sowohl der makroökonomischen Forschung als auch der Wirtschaftspolitik war. Sehr grob vereinfacht lautet die wirtschaftspolitische Handlungsempfehlung der traditionellen keynesianischen Analyse, wie sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs propagiert wurde: Der Staat möge laufend die gesamtwirtschaftliche Entwicklung verfolgen und gegebenenfalls zum Vorteil seiner Bürger beeinflussen. Wenn eine Zielgröße, beispielsweise das Sozialprodukt, unter einen bestimmten Richtwert fällt, so soll der Staat durch geeignete Maßnahmen die Wirtschaft »ankurbeln«, also Konsum und Produktion stimulieren und damit die negativen Folgen einer Rezession für seine Bürger vermeiden.
 
Eine solche Wirtschaftspolitik erfordert ein genaues quantitatives Verständnis der zugrunde liegenden gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge. Dazu wurden von Lawrence Klein und anderen Ökonomen sehr umfangreiche makroökonomische Modelle entwickelt, die oft aus vielen hundert einzelnen Gleichungen bestehen und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung möglichst präzise charakterisieren sollen. Diese Gleichungen beschreiben beispielsweise die Zusammenhänge zwischen Einkommen und Konsumausgaben der privaten Haushalte, zwischen Investitionen und Gewinnen der Unternehmen, zwischen Geldpolitik der Notenbank und Preisniveau, aber auch die Beziehungen einer Volkswirtschaft zu anderen Ländern.
 
 Die Zukunft kann berechnet werden
 
Die wissenschaftliche Leistung von Lawrence Klein bestand zunächst in der Konstruktion derartiger komplexer Modelle (formal handelt es sich um hochdimensionale Systeme von Differenzengleichungen). Daneben entwickelte Klein aber auch ökonometrische Verfahren, die es erlauben, die Parameter solcher Gleichungssysteme auf der Grundlage von Daten, die das Verhalten einer Ökonomie in der Vergangenheit beschreiben, zu bestimmen. Sind die Werte dieser Parameter erst einmal bekannt, so können anhand des Modells künftige wirtschaftliche Entwicklungen und die Auswirkungen staatlicher Eingriffe prognostiziert werden. Auch zu anderen Bereichen der Ökonometrie wie der Analyse von Produktions- und Konsumentscheidungen von Unternehmen und Haushalten leistete Klein wichtige Beiträge.
 
Die der keynesianischen Analyse und Kleins Arbeiten zugrunde liegende Sicht der Wirtschaftspolitik ging auf die schmerzhaften Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren zurück. Nach seinem Ökonomiestudium in Berkeley und der Promotion am Massachusetts Institute of Technology bei Paul Anthony Samuelson (Nobelpreis 1970), ging Klein an die University of Chicago und wurde Mitglied der »Cowles Commission«, die sich mit der empirischen Analyse der amerikanischen Volkswirtschaft beschäftigte. Dort entwickelte er in einer sehr ambitionierten, stets die wirtschaftspolitische Bedeutung ihrer Arbeit im Auge behaltenden Forschergruppe eine Reihe makroökonomischer Prognosemodelle.
 
Kleins erstes Modell war eine direkte Erweiterung einer Arbeit von Jan Tinbergen (Nobelpreis 1969). An der University of Michigan und später an der University of Pennsylvania entwickelte Klein dieses Modell weiter, teilweise in enger Zusammenarbeit mit dem Amerikaner Arthur Goldberger, einem seiner Studenten und später selbst ein einflussreicher Ökonometriker. Das Klein-Goldberger-Modell und seine Erweiterungen, die schließlich nicht nur die USA, sondern auch andere Länder umfassten, fanden rasch Eingang in die wirtschaftspolitische Arbeit von Regierungen, Notenbanken und Forschungsinstituten auf der ganzen Welt. In der Bundesrepublik verwendete beispielsweise die Bundesbank über viele Jahre ein solches gesamtwirtschaftliches Modell und erweiterte es fortlaufend. Die Schwedische Akademie der Wissenschaften würdigte anlässlich der Vergabe des Nobelpreises gerade diese große praktische Bedeutung von Kleins Arbeiten für die Wirtschaftspolitik der 1960er- und 1970er-Jahre.
 
 Kleins Einfluss auf nachfolgende Theorien
 
Keynesianische Vorstellungen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und ihrer Beeinflussbarkeit durch politische Eingriffe verloren in den 1970er-Jahren jedoch zunächst an theoretischer und in den 1980er-Jahren mit der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik des US-Präsidenten Ronald Reagan und der britischen Premierministerin Margaret Thatcher auch an praktischer Bedeutung. Damit nahm auch das Interesse an den von Klein entwickelten gesamtwirtschaftlichen Prognosemodellen ab. Erheblichen Anteil an dieser Entwicklung hatte Robert Lucas (Nobelpreis 1995), der Anfang der 1970er-Jahre die Hypothese der rationalen Erwartungen in die Makroökonomik eingeführt hatte. Danach berücksichtigen Unternehmen und private Haushalte bei ihren Entscheidungen alle relevanten Informationen. Am Beispiel von Kleins Modellen heißt dies: Nicht nur dem Staat und den von ihm beschäftigten Wirtschaftswissenschaftlern steht ein bestimmtes Modell der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zur Verfügung — auch die betroffenen Unternehmen und Haushalte können dieses Modell einsetzen, um auszurechnen, welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Staat ergreifen wird, um sich bereits vorab darauf einzustellen.
 
Die Tatsache, dass die von Tinbergen, Klein und deren Nachfolgern entwickelten, aus vielen hundert Gleichungen bestehenden gesamtwirtschaftlichen Modelle heute keine große praktische Relevanz mehr besitzen, mindert jedoch nicht Lawrence Kleins wissenschaftliche Leistung. Neben seinen bleibenden Beiträgen zur Entwicklung der angewandten Makroökonomik und der Ökonometrie ist vor allem hervorzuheben, dass die von ihm propagierten und entwickelten Simulationsmethoden, wenn auch in einem abstrakteren Sinne, nach wie vor erfolgreich verwendet werden.
 
Die Simulationsmodelle, die heute in der Forschung und in der wirtschaftspolitischen Beratung eingesetzt werden, sind im Anspruch bescheidener als die von Klein und konzentrieren sich auf bestimmte Aspekte wirtschaftlichen Verhaltens. Von Interesse sind heute weniger kurzfristige konjunkturelle Schwankungen als vielmehr langfristige Entwicklungen, die für das wirtschaftliche Wohlergehen der Menschen womöglich viel wichtiger sind.
 
J. Winter

Universal-Lexikon. 2012.

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